»Vielleicht finden wir dann unsern Schneid zurück«
Magdeburg schaut nicht weg: Der Kampf gegen die ungerechtfertigte Kündigung des Enercon-Betriebsrates Nils-Holger Böttger könnte zum Hoffnungssignal für eine fast schon resignierte Region werden.
»Guten Tag«, sagt der junge IG Metaller. »Wir sammeln Unterschriften für den Enercon-Betriebsrat, der gekündigt wurde, weil er sich für die Rechte der Leiharbeiter eingesetzt hat.« Das ältere Pärchen unterbricht seinen Samstagseinkaufsbummel. »Ja«, sagt der Mann, davon haben sie in der Zeitung gelesen. »Sauerei, wie die mit den Leuten umspringen«, murmelt er. Die beiden lassen sich nicht lange bitten und unterschreiben. Die Magdeburger schauen nicht weg, jedenfalls nicht alle. Mit Leiharbeit kennen sie sich aus. Hauptsache Arbeit, hat man ihnen zwei Jahrzehnte lang gepredigt, um Billiglohnjobs und prekäre Arbeitsbedingungen zu rechtfertigen. Viel Stolz ist kaputt gegangen, aber ein Rest ist noch da. »Macht weiter«, sagt die Frau. »Die sollen doch nicht denken, dass sie hier im Osten Wildwest spielen können.«
So klar sind hier nicht alle im Kopf, mit denen die Kollegen der IG Metall an diesem Samstagmittag vor dem Einkaufszentrum am Breiten Weg das Gespräch suchen. »Was geht mich das an«, sagen manche, oder: »Für meine Probleme interessiert sich doch auch keiner.« Das reicht ihnen als Grund, sich nicht zu solidarisieren. Sie klagen über die Gleichgültigkeit der Gesellschaft. Dass ihre Haltung Teil des Problems ist, unter dem sie leiden, merken sie nicht.
Viel Stolz ist kaputt gegangen. Früher war Magdeburg ein wichtiges Zentrum des DDR-Maschinenbaus. Das Schwermaschinenbaukombinat »Ernst Thälmann« beschäftigte Zehntausende. Heute kann man an der Uni wieder Maschinenbau studieren, und die Universität hat überregional einen guten Ruf. Aber die Ingenieure, die hier ausgebildet werden, finden in Magdeburg keine Arbeit.
Es ist ein zäher Kampf, ein ständiges Argumentieren an diesem Nachmittag in der Fußgängerzone. Aber der Aufwand lohnt sich. Immer wieder kommen Leute, die froh sind, dass hier ein paar, überwiegend sehr junge, Gewerkschafter stehen, die gemeinsam etwas gegen die Lethargie und Resignation unternehmen, die wie kalter Herbstnebel über der Stadt liegt.
»Schuld sind die Gewerkschaften«, schimpft ein pensionierter Arbeiter. »Wieso denn das?« fragt der Unterschriftensammler. »Die müssten mehr machen«, sagt der Rentner, »viel mehr.« »Klar«, sagt der junge Metaller. »Aber wir sind ja jetzt hier und machen was. Damit wir wieder mehr werden und die Leute sich wieder trauen, für ihre Rechte einzustehen. Nicht immer nur die Arschbacken zusammenkneifen und auf den Fußboden gucken.« Der alte Mann lacht, und er unterschreibt. »Ich wünsch euch viel Erfolg«, sagt er. »Ich werd hier nichts mehr reißen, aber ihr … vielleicht.«
Ein paar Meter weiter diskutieren drei Angestellte aus dem Wirtschaftsministerium des Landes Sachsen-Anhalt mit einem jungen Gewerkschafter. »Unmöglich« sei das, wie sich Enercon aufführe. »Die haben Millionen Euro aus der Aufbau-Ost-Förderung bekommen, aber glauben, sie müssten sich nicht ans Betriebsverfassungsgesetz halten.« Unterschreiben wollen sie nicht, und das ist ihnen etwas peinlich. Dann die Erklärung: Enercon ist ein wichtiges Unternehmen für die Region. Eine Unterschrift unter einem Appell der Gewerkschaft, so ihre Befürchtung, könnte für sie Schwierigkeiten mit ihrem Dienstherren bedeuten.
Am Ende kommen doch eine ganze Menge Unterschriften zusammen. Ein Aufschrei der Empörung ist es zwar nicht, der durch Magdeburg geht, aber immerhin. Der Groll wächst, der Unmut darüber, als Bürger zweiter Klasse behandelt zu werden – als Leiharbeiter, als Minijobber, als Dienstleistungsangestellte mit Kettenbefristung im Niedriglohnsektor. Dazu der ständige Kampf mit dem Jobcenter um das bisschen Aufstockergeld. Sie haben es satt, und sie ballen die Faust in der Tasche. Schon viel zu lange machen sie das, und so langsam dämmert es ihnen. »Der Junge ist doch einer von uns«, sagt eine ältere Dame. »Wenn er es schafft … mal sehen … vielleicht finden wir dann ein wenig von unserm Schneid zurück.«
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