Beschäftigte wehren sich gegen Stellenabbau bei Enercon
„Es gibt Alternativen zu Entlassungen“
Der Windanlagenbauer Enercon will sich stärker auf internationale Märkte ausrichten und in Deutschland hunderte Menschen entlassen. Die IG Metall macht Druck. Sie will um jeden betroffenen Standort kämpfen.
Die Ankündigung, dass in den nächsten Monaten mindestens 850 Beschäftigte entlassen werden sollen, kam für die Belegschaften des Windanlagenbauers Enercon überraschend. Entsprechend groß war der Schock. Gestern trafen sich im ostfriesischen Aurich, wo die Zentrale angesiedelt ist, mehr als 50 Betriebsräte aus den betroffenen Standorten in Ostfriesland und Magdeburg. Sie sind sicher, dass es Alternativen zu Entlassungen und Standortschließungen geben muss.
Politik als Bremser
Die Betriebsräte und Metaller fordern die beiden Geschäftsführer Simon-Hermann Wobben und Hans-Dieter Kettwig auf, mit der IG Metall, den Betriebsräten und Wirtschaftspolitikern auf Landes- und Bundesebene über Alternativen zu reden. Der niedersächsische Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU) will kommenden Mittwoch alle Akteure an einen Tisch bringen. Die IG Metall will die Politik mit ins Boot holen, weil die aktuellen Probleme von Enercon auch Folgen der politischen Entscheidungen über den Ausbau der Windenergie sind. Die Regierung deckelt den Ausbau, und bei neuen Ausschreibungen werden Bürgerwindparks besonders gefördert; die bürgerfreundlich gemeinte Entscheidung führte dazu, dass Interessenten die Ausschreibungen gewannen, bei denen unklar ist, ob überhaupt und wann sie ihre Anlagen bauen. Die Folge: Es findet kaum noch Zubau statt, der Markt ist eingebrochen.
„Wir sind Enercon“: Nach der Ankündigung von Standortschließungen und Entlassungen von hunderten Beschäftigten durch Enercon machen Betriebsräte und IG Metall gemeinsam Druck.
Signal aus Berlin
Die Regierungsparteien haben daraus zwar Konsequenzen gezogen. So haben sie im Koalitionsvertrag vereinbart, dass es Sonderausschreibungen für vier Gigawatt Wind und zusätzliche, nicht näher beschriebene, Offshore-Windenergie, also Anlagen auf See, geben soll. Vor der Sommerpause sollte darüber entschieden werden. Aber bisher ist noch nichts passiert. Darum appellieren IG Metall und Betriebsräte eindringlich an Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier, den Ankündigungen schnell Taten folgen zu lassen. „Wir erwarten ein klares Signal aus Berlin.“
„Wir sind Enercon“
Vor allem erwarten sie aber von den Firmenchefs Wobben und Kettwig, Verantwortung für die Zukunft der Betriebe zu übernehmen. Bisher weigern sich beide aber und erklären die Geschäftsführer der einzelnen Werke für zuständig. Rainer Hüring, Betriebsrat bei Aero Ems in Haren, kann darüber nur den Kopf schütteln. Auf der Arbeitshose steht „Enercon“, auf Firmenmobiliar, auf der Weihnachtsgeldabrechnung. Überall gibt sich das Unternehmen zu erkennen – „aber jetzt, wo es nicht mehr läuft, sind wir nicht mehr Enercon, sondern nur noch Zulieferer. Das kann doch nicht sein.“ Die Beschäftigten lassen aber keinen Zweifel. „Wir sind Enercon“, sagen sie.
Zukunft verbaut
Mit jedem Beschäftigten und jedem Standort, den Enercon aufgäbe, verlöre das Unternehmen „wichtiges Know-how und gefährdet die eigene Zukunft“, mahnen die IG Metall Küste und die betroffenen Betriebsräte. Die Windenergie hat langfristig gute Perspektiven. Schon weil die Klimaschutzziele der Bundesregierung nur mit erneuerbaren Energien einzuhalten sind. Bis 2030 will die Bundesregierung erreichen, dass 65 Prozent der Energie aus regenerativen Quellen kommen. Das ist nur durch einen massiven Ausbau der Windanlagen zu schaffen.
Durch die zunehmende Elektrifizierung des Verkehrs wird ihre Bedeutung noch zusätzlich wachsen. Denn Elektrofahrzeuge sind nur dann klimafreundlicher, wenn der Strom aus erneuerbarer Energie stammt. Der Ausbau müsste also noch beschleunigt werden. Minister Altmaier begründet das Zögern damit, dass beim Ausbau die Aufnahmefähigkeit der Netze berücksichtigt werden müsste. Experten sagen jedoch, dass in die vorhandenen Netze noch mehr Strom eingespeist werden könnte.
Tausende Stellen betroffen
Es geht um die wirtschaftliche Zukunft der Beschäftigten einer ganzen Branche. Bundesweit hängen rund 160 000 Arbeitsplätze von der Windbranche ab. Allein in Niedersachsen sind es 36 000. In den vergangenen Jahren sind schon rund 2000 Stellen abgebaut worden. Die jetzt drohenden Entlassungen betreffen also eine eh schon stark gebeutelte Region.
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