Auch Profis brauchen Sicherheit
Service-Monteure machen einen verantwortungsvollen, aber nicht ungefährlichen Job. Betriebsrat Nils-Holger Böttger will das Thema Arbeits- und Gesundheitsschutz auf die Tagesordnung bringen.
400 Stufen, 100 Meter steil nach oben, oft mit bis zu zehn Kilogramm Ausrüstung am Klettergurt. Für Nils-Holger Böttger ist das kein Problem. »Ich brauche höchstens zehn Minuten für den Aufstieg, hinunter sogar weniger«, sagt der 34-jährige Service-Monteur – ohne jeglichen Anflug von Arroganz. Böttger ist einfach sportlich. Gute 1,85 Meter groß, durchtrainiert, Hobby: Triathlon.
Es ist kurz vor 17 Uhr und fast dunkel. Nils-Holger Böttger steht auf einem Acker bei Wanzleben, nahe Magdeburg, ein leises Summen ist zu hören. Über ihm kreist der Rotor einer »E 70«, einer 2,3 Megawatt starken und 98 Meter hohen Windkraftanlage. Ein bis drei Mal am Tag muss Böttger den Aufstieg machen, um Windanlagen zu warten oder zu reparieren, fünf Mal die Woche, auch mitten in der Nacht. »Mir macht das noch Spaß, ich bin jung. Aber für viele Kollegen, gerade die Älteren, ist das extrem schwer«.
Das Problem ist: Die Kletterei ist kurzzeitig sehr anstrengend, aber die Belastung ist zu kurz, um einen echten Trainingseffekt zu hinterlassen. Jeder hält sich fit, so gut er kann. Dennoch werden die Gelenke stark belastet. Aufstiegshilfen, die beim Klettern unterstützten, wären vielleicht eine Hilfe. Die gebe es auch in einigen Service-Gesellschaften. Doch warum der Einsatz sich noch nicht durchgesetzt hat, weiß er nicht.
In jedem Fall gibt es in Sachen Gesundheitsschutz eine Menge Nachholbedarf – und das ist einer der Gründe, warum sich Böttger für die Betriebsratswahlen bei der WEA Service Ost eingesetzt hat. »Hier muss einiges getan werden«, sagt er. Bald wird er die Möglichkeit dazu haben. Seit Anfang Dezember ist Böttger Mitglied des Betriebsrats der WEA Service Ost.
Enercon ist ein sehr junges Unternehmen. Den Altersdurchschnitt seiner Kollegen schätzt Böttger auf Anfang, Mitte dreißig. Die Jobs sind begehrt, das gilt gerade in Sachsen-Anhalt. Viel gibt es hier nicht. Und was es gibt, ist schlecht bezahlt. Viele haben in früheren Jobs um die 1.300 Euro verdient, jetzt, bei Enercon, kommen sie auf bis zu 2.000. »Die Leute setzen auf die Zukunft«, sagt Böttger, der zuvor in einem kleinen Elektrobetrieb gearbeitet hat. »Viele machen sich jedoch Sorgen, dass sie, wenn sie älter sind, nicht mehr auf die Türme kommen«.
Das gilt besonders für ältere Anlagen. Deren Türme sind lediglich bis zu siebzig Meter hoch und zu eng für einen Lift. Aber auch bei den neuen Anlagen mit Aufstiegshilfe, wie es technisch korrekt heißt, muss man oft klettern. Etwa bei der Inbetriebnahme: »Eigentlich sollte das Ding dann schon drin sein«, sagt Böttger. »Aber zu 98 Prozent ist das nicht der Fall.« Dann müssen die Kollegen mehrere Tage hintereinander hochklettern. Oder der Lift fällt aus. Auch das geschieht regelmäßig.
Es geht aber nicht nur darum, wie man sich bei der Arbeit auf lange Sicht gesund erhält, sondern auch darum, wie man sich im Notfall verhält. Etwa wenn man oben in der Gondel ist und etwas passiert. Nach so einem Aufstieg kann schon mal der Kreislauf verrückt spielen. Es kam schon vor, dass Monteure in der Gondel ohnmächtig werden. Ist der Metallboden bei Regen und Nebel feucht, besteht Rutschgefahr. Auch könne man bei der Arbeit in der Gondel einen elektrischen Schlag bekommen.
Für solche Fälle hat jedes Team ein sogenanntes Höhenrettungsgerät. Das ist ein etwa 160 Meter langes Seil mit Winde. »Das Problem ist: Wir müssen es mit hochnehmen«, sagt Böttger. Für die Leiter ist es zu schwer mit seinen knapp 20 Kilo. Also muss es der Monteur mit einer Seilwinde hochziehen, nachdem er aufgestiegen ist. Bis dahin kann schon viel passiert sein. Und: Es gibt verschiedene Gerätetypen. »Wir werden aber nur an jeweils einem ausgebildet. In einer Stresssituation habe ich keine Zeit, mir die Gebrauchsanleitung durchzulesen«.
Böttgers Forderung: In jeder Windkraftanlage müsste ein Höhenrettungsgerät oben in der Gondel – versiegelt und eingeschweißt – gelagert sein. Kostengründe will er als Argument dagegen nicht gelten lassen. Das Gerät koste höchstens tausend Euro. Kein relevanter Posten bei einer Anlage für 2,7 Millionen. Böttger zieht sein Smartphone aus der Tasche und ruft ein Foto auf. Man sieht aus großer Entfernung zwei Personen auf der Gondel einer Windkraftanlage – nicht von Enercon, sondern eines Mitbewerbers, aber das tut nichts zur Sache. Aus der Anlage dringen Flammen und Rauchwolken. Das Ende der Geschichte: Einer der beiden Monteure ist verbrannt, der andere runter gesprungen. Gewiss, das war ein Extremfall, aber er zeigt, die Arbeit der Kollegen ist gefährlich.
Momentan erhalten die Monteure einmal pro Jahr ein Sicherheitstraining. »Das ist zu wenig«, sagt Böttger. Jeder übt einmal das Abseilen von der Leiter. »Man macht drei Fehler, die werden erklärt. Dann kommt der nächste, der drei andere Sachen falsch macht. Dann bist du fertig, bekommst deinen Stempel, und dann wird das im nächsten Jahr wiederholt.« Das reiche nicht. »Wir brauchen einfach eine bessere Ausbildung.«
Dass es sich bei der Windkraftindustrie um eine junge Branche handelt, sei keine Entschuldigung. »So jung ist sie auch nicht mehr. Und es gibt Fachleute und haufenweise private Firmen die Sicherheitsgerät und Trainings anbieten.« Natürlich koste das Geld, aber das Unternehmen verdiene ja gutes Geld. Auch mit der Arbeit der Monteure.
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